Dublin: Ein Buch, eine Stadt und ihre Dichter
Der April ist
Büchermonat in Dublin. Es wird zum Festival der literarischen
Großköpfe aufgerufen und die Dubliner lesen von
Dublinern. Jedes Jahr steht einer der zahlreichen in der Stadt
geborenen Dichter im Vordergrund.
Die Iren seien in vielen Disziplinen rekordverdächtig, so sagt
man. Ihre Leidenschaft für Pferdewetten gehört dazu,
Guinness trinken natürlich, aber auch Austern um die Wette
knacken und Festivals feiern. Und so hat Dublin in den letzten Jahren
auch ein kollektives Lesefest ausgerufen. Immer im Frühling,
den ganzen April über, greifen die Dubliner zu einem von den
Stadtbibliotheken für das Festival „One City One
Book“ ausgewählten Buch und lesen, besprechen,
inszenieren dessen Inhalte im öffentlichen Raum. So erschaffen
sie nicht nur ein vergnügliches Gesprächsthema
für den Chat auf der Straße oder im Pub, sie halten
damit auch die lange Tradition ihrer vielen schriftstellerischen
Größen hoch, die Dublin hervorgebracht hat. Allen
voran den Literaturgiganten James Joyce, der Ulysses und
Finnegan‘s Wake schrieb. Sein erstes Prosawerk Dubliners mit
15 ausgefeilten Portraits des städtischen Lebens Anfang des
20. Jahrhunderts ist im April 2012 zum kollektiven Lesestoff ernannt
worden.
Joyce verbrachte zwar den größten Teil seines Lebens
in Frankreich und ist in Zürich beigesetzt, doch stattete er
Dublin just im Jahr 1912 seinen letzten Besuch ab und hat die Stadt an
der Liffey vielleicht wie kaum ein Zweiter kritisiert und gleichzeitig
geliebt. Die Novellen Dubliners sind 1914 in London erschienen und erst
1954 in deutscher Übersetzung vorgelegt worden. Sie geben mit
ihren poetischen Figuren eine psychologisch dicht gewebte Studie der
Charaktere jener Jahre ab, die sich zugleich in ein seltsam
zeitunabhängiges Stadtportrait fügen.
Rekordverdächtig, wenn nicht beim kollektiven Lesen so doch im
Internet, sind die Einträge, die man zu Joyce findet: 469.000,
während es sein Zeitgenosse Samuel Beckett auf 287.000 bringt
und im Vergleich dazu Goethe nur auf 209.000. Die höchste
Summe für eine Erstausgabe von Joyces Ulysses betrug 460.000
US Dollar. Beckett brachte es mit Krapp´s Last Tape auf
10.341 US Dollar. Die Werke beider haben ihren 100. Geburtstag
längst überschritten und werden mit
unermüdlicher Aufführungslust in Theatern, Museen und
auf den Dubliner Straßen gespielt. Die Lesestoffe voran
gegangener One City One Book-Festivals waren Flann O’Briens
At Swim Two Birds, Sebastian Barrys A Long, Long Way, Jonathan Swifts
Gulliver’s Travels, Bram Stokers Dracula, Oscar Wildes The
Picture of Dorian Gray und Ghost Light von Joseph O´Connor.
Beckett ist sicher demnächst an der Reihe
(www.onecityonebook.ie).
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