Leipzig
Geschichte



Leipzig - die Friedliche Revolution
Als am 9. Oktober `89 über 70.000 Bürger auf dem Leipziger Ring gegen das SED-Regime protestierten und Reformen einforderten, war der Damm gebrochen: Die Sicherheitsorgane standen nicht nur einigen Rädelsführern gegenüber, die von imperialistischen Kreisen gesteuert wurden, sondern breiten Teilen der Bevölkerung. Dadurch wurden die geplanten Abwehrmaßnahmen zur gewaltsamen Auflösung der Montagsdemonstration undurchführbar.

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Kurzer Rückblick
In den Folgemonaten versuchte die SED vergeblich, mit dem Zauberwort “Dialog” die Menschen von der Straße wegzuholen. Die Leipziger Bürger, die 1989 nach den traditionellen Friedensgebeten in der Nikolaikirche anfangs zu Hunderten, später zu Hunderttausenden auf den Leipziger Innenstadtring zogen, gaben sich nicht mit kosmetischen Veränderungen zufrieden. Mit ihrem Mut, ihrem festen Willen und dem Verzicht auf Gewalt haben sie Geschichte geschrieben. Die erregenden Bilder von den “Montagsdemos” im Herbst 1989 gingen um die ganze Welt: Entschlossene Menschen riefen “Wir sind das Volk” und forderten demokratische Grundrechte in einer verkrusteten Gesellschaft ein. Leipzig das Stiefkind des DDR-Staates – hatte mit friedlichen Mitteln seine Sprache wiedergefunden. Der Grundstein für die deutsche Wiedervereinigung war gelegt.

Der Weg von Leipzig 1989 zum vereinten Deutschland am 03.10.1990

Eine Chronologie
Januar `89 - Alltag der Teilung – Krise der DDR – Ungarn öffnet die Grenzen – Leipziger Montagsdemonstrationen – Der Sturz Honeckers – Die Mauer fällt – DDR-Bürger wollen die Einheit – Kohls Plan – Abdankung der SED – Freie Wahlen in der DDR – Die Siegermächte stimmen zu – Der 3. Oktober 1990 

15. Januar `89 – Erste ungenehmigte Demonstration der 80er Jahre in der DDR In Leipzig demonstrieren ca. 500 Bürger für Reformen. Es gibt 53 Festnahmen.

2. Mai `89 –Ungarn entfernt den Sicherheitszaun, der den Weg nach Österreich versperrt. Dies ist der erste Schritt zu den spektakulären Massenfluchten.

7. Mai `89 – Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen in der DDR. Laut Bekanntgabe von Egon Krenz stimmten 98,85% der Wähler für die Kandidaten der Nationalen Front. Die Wahl-Wahrheit lautete: ca. 10% stimmten dagegen und etwa die gleiche Anzahl verweigerte die Stimmabgabe. Ca. 1.000 Bürger protestieren in Leipzig gegen den Betrug.

4. Juni `89 – Massaker in China – Das chinesische Militär zerschlägt die Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Viele Menschen kommen ums Leben. Die “Chinesische Lösung” hängt wie ein Damoklesschwert über den weiteren öffentlichen Aktivitäten.

10. Juni `89 – Das erste Leipziger Straßenmusikfestival, organisiert von Basisgruppen, wird von der Polizei gewaltsam unterbunden. Die Musiker werden mitsamt ihren Instrumenten brutal auf LKW`s geladen und “zugeführt”.

6. bis 9. Juli `89 – Der evangelische Kirchentag der Landeskirche Sachsen findet in Leipzig statt. Kritische Gruppen werden vom offiziellen Kirchentag ausgeschlossen und organisieren in der Lukaskirche einen “Statt-Kirchentag”, an dem sich ca. 2.500 Personen beteiligen.

Juli `89 – Beginn der Fluchtbewegung von DDR-Bürgern über Ungarn nach Österreich.

14. August `89 – Einige Botschaften schließen (z.B. in Budapest) wegen Überfüllung. Erich Honecker verkündet: “Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.”

19. August `89 – Massenflucht - Etwa 700 sich in Ungarn aufhaltende DDR-Urlauber nutzen eine Veranstaltung an der österreichischen/ungarischen Grenze zur Flucht in die Freiheit.

4. September `89 – Demonstration zur Leipziger Herbstmesse – Stasi-Mitarbeiter zerstören Transparente mit Losungen wie “Für ein offenes Land mit freien Menschen”. Diese Vorgänge werden von westlichen Kameraleuten gefilmt und in die ganze Welt übertragen.

11. September `89 – Grenzöffnung - Ungarn öffnet die Grenze nach Österreich für DDR-Ausreisende.

19. September `89 – “Neues Forum” – Oppositionelle Gruppen gründen die Initiativgruppe “Neues Forum” und beantragen als erste offizielle Gruppe ihre Zulassung als Bürgerbewegung.

22. September `89 - Anweisung – Erich Honecker weist die 1. Sekretäre der SED-Bezirksleitungen an, “daß diese feindlichen Aktionen im Keime erstickt werden müssen, daß keine Massenbasis dafür zugelassen” werden dürfe.

25. September `89 – Verbot – Das “Neue Forum” wird vom Ministerium des Innern verboten. 5.000 Menschen protestieren bei der Leipziger Montagsdemonstration. - Der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher erklärt in Prag, daß die 6.000 Botschaftsflüchtlinge in die BRD ausreisen dürfen.

30. September `89 – “We shall overcome” singen ca. 8.000 Demonstranten nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche, das seit 1982 dort stattfindet.

2. Oktober `89 – Gewalt – An diesem Montag demonstrieren bereits ca. 20.000 Menschen in Leipzig für Reformen. Es kommt zu einem brutalen Polizeieinsatz. 

4. Oktober `89 – Zweite Massenausreise – Mehr als 7.600 Flüchtlinge reisen in Sonderzügen aus Prag durch Dresden in die BRD, nachdem der visafreie Verkehr zwischen der DDR und der Tschechoslowakei ausgesetzt worden war.

6. Oktober `89 – Einschüchterungsversuch – Die “LVZ” druckt den Leserbrief eines Kampfgruppenkommandeurs, in dem es heißt: “Wir sind bereit und willens, das von uns mit unserer Hände Arbeit Geschaffene wirksam zu schützen, um diese konterrevolutionäre Aktion endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muß mit der Waffe in der Hand!”

7. Oktober `89 – 40. Jahrestag der DDR - In der ganzen DDR kommt es zu Demonstrationen. Der Staat setzt in Leipzig Hunde und Wasserwerfer gegen ca. 4.000 Demonstranten ein. 200 Personen werden verhaftet. Gorbatschow spricht in Berlin vor dem Politbüro und sagt: “Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort.” 

8. Oktober `89 – Verhaftungswelle – Vom 1. bis 8. Oktober werden in der DDR 3.318 Personen zugeführt.

9. Oktober `89 – Die entscheidende Montagsdemonstration – Trotz großer Angst vor bewaffneten Auseinandersetzungen - 8.000 Polizisten stehen bereit - versammeln sich im Anschluß an die Friedensgebete in fünf Leipziger Kirchen über 70.000 Bürger. Kurt Masur liest über Stadtfunk einen Aufruf zur Besonnenheit und zum Dialog, den auch SED-Sekretäre unterstützen. Diese große Demonstration löste eine Unmenge an Resolutionen aus, die das Ende der SED-DDR bedeuten. Die sogenannte “Herbstgesellschaft” beginnt.

16. Oktober `89 – Bilder gehen um die Welt – Es entwickeln sich die machtvollen Leipziger Montagsdemonstrationen auf dem Innenstadtring. An diesem Montag demonstrieren 150.000 Menschen, die sich nicht mit kosmetischen Veränderungen zufrieden geben. Viele Fernsehteams drehen. Sogar die “Aktuelle Kamera” berichtet kurz. 

18. Oktober `89 – Der Sturz Honeckers – Erich Honecker wird als SED-Vorsitzender von Egon Krenz abgelöst. Das bewirkt jedoch keine Abnahme der Demonstrationen, die sich auf das ganze Land ausweiten. 

23. Oktober `89 – “Freie Wahlen – wahre Zahlen!” “Visafrei bis Shanghai!”- Mit diesen und ähnlichen Losungen versammeln sich ca. 300.000 Demonstranten in Leipzig und bekunden ihre Hoffnung auf eine grundlegend neue Politik. Das “Neue Forum” gibt den Ort seines Büros in Leipzig bekannt.

24. Oktober `89 – Machtgerangel - Egon Krenz wird Vorsitzender des Staats- und des Nationalen Verteidigungsrates.

30. Oktober `89 – “Wir sind das Volk!” - Die Stimmen der Demonstranten werden immer lauter. Der Demonstrationszug in Leipzig umfaßt erneut ca. 300.000 Teilnehmer, die aus allen Teilen der DDR anreisen.

6. November `89 – Die größte Montagsdemonstration – Sie findet bei strömenden Regen statt. Ca. 400.000 Teilnehmer fordern konsequente Reformen des gesellschaftlichen Systems und rufen “Stasi in die Volkswirtschaft!” 

7. November `89 – Die DDR-Regierung tritt zurück.

9. November `89 – Die Mauer ist für DDR-Bürger offen. Politbüromitglied Schabowski verkündet (versehentlich?) ab sofort unbeschränkte Reisefreiheit. Das bedeutet den Fall der Grenzzäune und Sperrgebiete.

28. November `89 – Zehn-Punkte-Programm – Bundeskanzler Helmut Kohl verkündet ein Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands.

1. Dezember `89 – Schlußstrich – Die Volkskammer streicht den Führungsanspruch der SED aus der Verfassung.

6. Dezember `89 – Rücktritt – Egon Krenz tritt als Vorsitzender des Staats- und Nationalen Verteidigungsrates zurück.

7. Dezember `89 – Der “Runde Tisch” tritt erstmalig in Berlin (Ost) zusammen. In ihm sind vertreten: die SED, die Blockparteien sowie die bedeutendsten Oppositionsgruppen. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung wird vereinbart und der 6. Mai `90 als Termin für die Neuwahlen zur Volkskammer festgesetzt. 

8./9. Dezember `89 – Umbenennung - Die SED wird vorläufig in SED-PDS umbenannt. Gregor Gysi wird Vorsitzender. 

11. Dezember `89 – Rufe nach Wiedervereinigung – Das Haupthema der Redner bei der Leipziger Montagsdemonstration ist die Wiedervereinigung Deutschlands.

18. Dezember `89 – Stiller Abschluß - Ca. 200.000 Bürger vollziehen bei der ersten genehmigten Montagsdemon-stration mit brennenden Kerzen und Fackeln einen “stillen Abschluß” der Leipziger Montagsdemonstrationen `89. Die Glocken aller Leipziger Kirchen läuten zum Gedenken an die Opfer von geistiger Unterdrückung und Gewalt. 

24. Dezember `89 – Offene innerdeutsche Grenzen - Visumpflicht und Zwangsumtausch entfallen bei Reisen in die DDR für Bundesbürger.

15. Januar `90 – “Nieder mit der SED!” fordern über 100.000 Demonstranten in der Leipziger Innenstadt. Verschiedene Parteien nutzen diese Montagsdemonstration für ihren Wahlkampf. 

5. Februar `90 – “Deutschland – einig Vaterland!” lautet die Hauptforderung der ca. 100.000 Demonstranten in Leipzig. Der Wahltermin ist auf den 18. März vorverlegt. Die Partei SED-PDS nennt sich ab heute nur noch PDS.

10. Februar `90 – Ein Meilenstein zur Vereinigung – Gorbatschow sichert Bundeskanzler Kohl in Moskau zu, daß die Deutschen das Recht haben, in einem Staat zu leben.

13. Februar `90 – Die deutsche Frage – Es werden die “Zwei-plus-vier-Konferenzen” zwischen beiden deutschen Regierungen und den vier Siegermächten vereinbart. Die Einordnung des vereinten Deutschlands in Europa wird festgelegt. Erstes Zusammentreffen von NATO und Warschauer Pakt in Ottawa.

12. März `90 – Die letzte Montagsdemonstration – Noch einmal sind ca. 70.000 Teilnehmer gekommen. Die Bürgerbewegungen beklagen, daß sich der Charakter der Demonstration gewandelt hat und die Toleranz nachläßt.

14. März `90 – Kohls Auftritt in Leipzig - “Das Ziel, die Einheit Deutschlands zu vollenden, ist nun zum Greifen nahe”, sagt Bundeskanzler Helmut Kohl vor ca. 300.000 Menschen, die an der Wahlkundgebung der CDU auf dem Leipziger Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) teilnehmen.

18. März `90 – Die erste freie Wahl zur Volkskammer der DDR. Die Weichen für eine Wiedervereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes sind gestellt. 

12. April `90 – Die neue Regierung unter Lothar de Maizière (CDU) wird gebildet. Es ist eine große Koalition von CDU und SPD unter Einbeziehung der DSU und der F.D.P.

6. Mai `90 – Kommunalwahl – Die CDU liegt wieder weit vorn. In Leipzig gewinnt die SPD mit dem neuen Oberbürgermeister Dr. Hinrich Lehmann-Grube aus Hannover.

1. Juli `90 – Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion tritt in Kraft. Die D-Mark ist nun offizielles Zahlungsmittel in der DDR. An allen Auszahlungsstellen bilden sich lange Schlangen. Zugleich erfolgt die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und die Anpassung der DDR-Sozialversicherung an das bundesdeutsche Versicherungssystem.

22. Juli `90 – Neue Bundesländer – Die Volkskammer beschließt die Wiedereinführung der ehemaligen fünf Länder (Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg) auf dem Gebiet der DDR.

31. August `90 – Der Einigungsvertrag wird in Ost-Berlin unterzeichnet. 

2. bis 8. September `90 – Die Leipziger Herbstmesse findet im 825. Jahr ihres Bestehens zum ersten Mal nach der Wirtschafts- und Währungsunion statt. 

12. September `90 – “Zwei-plus-Vier”-Vertrag - Die Außenminister der vier Siegermächte und die beiden deutschen Staaten unterzeichnen in Moskau den Souveränitätsvertrag für das vereinte Deutschland.

3. Oktober 1990 – Wiedervereinigung Deutschlands 

Quellen: Die Chronolgie wurde auf der Basis folgender Publikationen erstellt: “Wende-Tage-Buch”, Militzke Verlag, Leipzig, 1998; “Von Leipzig nach Deutschland”, Forum Verlag Leipzig, 1991; “Leipzig erinnert an den Herbst `89”, Stadt Leipzig, 1999; “Heute vor 10 Jahren”, Bürgerkomitee Leipzig e.V., 1999




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