Orte, die es in sich haben
Irisch-englische Straßenbeschilderungen machen die Reise durch Irland zum Sonderfall. Mal ähneln sich die Ortsnamen in beiden Sprachen, ein anderes Mal scheinen Sprachwelten zwischen ihnen zu liegen. Doch schon kleine Kenntnisse des Gälischen erweitern den irischen Horizont.
Welcher Irlandreisende hat sie nicht schon zum Spaß
fotografiert, jene oftmals übervollen Wegweiserpfosten mit den
so klangvollen wie fremdartigen Ortsbezeichnungen. Da führt
beispielsweise eine wunderschöne Fahrt nach Gougane Barra in
West Cork über Ballingeary, Inchigeelagh, Macroom und
Carrigadrohid. Alles klar? Viel reizvoller aber ist es zu wissen, dass
man zur „Höhle des Heiligen Finbarr“
über die „Furt des Shrubbery“ an der
„Insel der Engstelle“ übersetzen muss, das
„Abschüssige Feld“ queren und dann den Weg
am „Brückenfelsen“ nehmen muss.
Denn so steht es im Gälischen auf dem Schild, und so nimmt
auch die Landschaft der Mythen und Sagen ihre alte Gestalt wieder an.
Lassen sich doch aus dem gälischen Ortsnamen meist historische
Begebenheiten, Namen von Heiligen und keltischen Gottheiten und
Landschaftsbeschreibungen herauslesen, die den Kosmos der keltischen
Vorfahren zwischen Naturglauben und Mystik überliefern. Manche
von ihnen beleuchten auch nahezu vergessene Erzählungen oder
Aspekte frühen Brauchtums. In der irischen Literatur
füllt die Überlieferung von Ortsnamen ganze
Bände, weil nahezu jeder von ihnen seine besondere Geschichte
zu erzählen hat. Irische Balladen besingen sie bis heute und
eine der am häufigsten gestellten Fragen, wenn sich Iren
begegnen, heißt noch immer: „Wo kommst du
her“. Und der unausgesprochene Gedanke dahinter lautet:
„Dann sage ich dir, wer Du bist.“
In den Jahren ab 1800 begann die englische Oberhoheit mit einer
groß angelegten Vermessung und Kartographierung aller
Städte, Dörfer und Grundstücke der Insel.
Zuvorderst ging es dabei natürlich um die Bemessung von
Grundsteuern. Doch wurde auch mit britischer Gründlichkeit
versucht, die bis dahin fast ausschließlich
gälischen Ortsnamen so sorgsam wie möglich ins
Englische zu übertragen. Ein Team von Übersetzern,
darunter auch ein irischer Gelehrter, machte sich auf die damals noch
sehr unebenen Wege durchs Land und trug aus mündlicher
Überlieferung, historischen Manuskripten und mit Hilfe der
Einheimischen die Namen und Aussprache der Orte zusammen. Manchmal
kamen dabei direkte Übersetzungen heraus. Meistens aber
hielten sich die Engländer nur an den Klang der
gälischen Namen und übertrugen sie in eine Art
Lautschrift.
So haben bis heute die gälischen Originale auf den
Beschilderungen alle eine exakte Bedeutung, während die
englischen Bezeichnungen zum Teil recht melodisch klingen
mögen, jedoch nichts mehr über den Ort aussagen. Und
für den Reisenden sind sie Lautmalereien mit
Zungenbrecherqualität. Noch eine Besonderheit unterscheidet
das Gälische vom angelsächsischen Sprachraum. Wenn
das Englische für Berglandschaften die zwei Begriffe
„Hills“ und „Mountains“
verwendet, verfügt das Irische über mindestens ein
Dutzend die Form, Höhe, Gestalt oder andere Eigenheiten des
Bergs beschreibender Wörter. Da wundert sich der Reisende
gerne, wenn er anstatt eines vermuteten Hügels
plötzlich einen 500 Meter über dem Meeresspiegel
aufragenden Koloss vor sich findet.
Auffallend oft begegnet der so durch Irlands grünes Farmland
Fahrende auch den Bally-Namen, wobei das ursprüngliche
„Baile“ für eine Ortschaft, einen
Landbesitz oder ein Gehöft stand. Jetzt aber kommt mit
keltischer Weltsicht die Gestalt oder Geschichte hinzu. Ballinderry zum
Beispiel (Baile an Doire) ist das „Land des
Eichenwaldes“, Ballymullen (Baile an Mhuilinn) ist der
„Mühlengrund“ und das Gehöft
Ballymascanlan bewirtschafteten einst „Scanlans
Söhne“ (Baile mhic Scanlain). Eine der
hübschesten Umwandlungen durch das Englische hat der
pittoreske Fischerort Roundstone in Connemara hinnehmen
müssen.
Der alte Name „Cloch na Rón“ bezeichnete
zwar mit dem ersten Wort tatsächlich einen Felsen oder Stein,
doch das Wort „Rón“ hat keinerlei
Verwandtschaft mit dem englischen „round“
für rund. Es bedeutet vielmehr Robbe und verweist auf die
felsige Küstenlandschaft, wo die gemütlichen
Flossenfüßer auch heute gerne ein Sonnenbad nehmen.
„Robbenfelsen“ oder „Seal´s
Rock“ wäre also der richtige kartographische Eintrag
für das gewesen, was zu einem einfachen Rundstein wurde.
Dieser Ort aber ist voll anmutiger Schönheit mit bunten
Cottagehäusern entlang einer buckligen, von Pflanzen
umschlungenen Straße. Schroffe Klippen strecken sich vor den
Fischerhaustüren ins Meer und bei Ebbe ist das schwefelgelbe
Leuchten der Seealgenteppiche sagenhaft.
Wenn der Irlandreisende also nicht gerade einen gälischen
Sprachkurs absolviert hat, wird ihm verborgen bleiben, mit welch
mythischen und natürlichen Mächten viele Orte im Bund
standen. Vielleicht aber wird er es spüren, wenn er die Namen
lautmalerisch buchstabiert. Und zur wunderbaren Orientierung verhelfen
ihm einige der am häufigsten gebrauchten Vorsilben wie etwa
Glen, Inis, Kill, Caher, Cnoc. Dann weiß er, dass er ein Tal,
eine Insel, einen Kirche, ein Fort und einen Hügel finden
wird. Einen hohen Berg kann er erwarten, wenn er
„Ben“ liest und am Rande der Klippen kommt er mit
einem „Bun“ an.
(Aus dem englischen Text „Pondering the Placenames“
von Elizabeth Healy übertragene Fassung.)
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